Grundgedanken der Montessoripädagogik
Das Menschenbild Maria Montessoris
„Hilf mir es selbst zu tun!“
Diese Bitte, mit der sich einst ein Kind an Maria Montessori wandte, wurde zum Leitmotiv für ihr gesamtes Erziehungskonzept. Die Pädagogin sieht jedes Kind als eine Einheit von Körper, Geist und Seele. Dabei ist es nicht der Erzieher, der die Entwicklung und Reifung zum Erwachsenen vollbringt, sondern es ist das Kind selbst. Es ist „der Bildner seiner Persönlichkeit“. Maria Montessoris Menschenbild ist durch die Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts geprägt. Ihre geistigen Wurzeln findet sie bei Medizinern (Itard, Seguin), Philosophen (Rousseau) und Pädagogen (Pestalozzi, Fröbel) des 18. und 19. Jahrhunderts, die trotz vieler Unterschiede übereinstimmend die Entwicklung und Übung der Sinne als Vorstufe
für das abstrakte Lernen ansahen. Ihren pädagogischen Theorien liegt die jahrelange Beobachtung kindlichen Verhaltens zugrunde.
In mehr als 50 Jahren beobachtete Montessori Kinder, interpretierte ihr Verhalten und zog daraus ihre pädagogischen Schlüsse, die auch heute noch aktuell sind. Ihre Pädagogik orientiert sich unmittelbar am Kind mit seinen Bedürfnissen nach spontaner Aktivität, Selbstbestimmung und dem Streben nach Unabhängigkeit. Das Kind ist für Maria Montessori kein passives und rezeptives Wesen, sondern eine Persönlichkeit mit großer Eigenaktivität und Konzentrationsfähigkeit.
Der Umgang der an der Montessorischule Dörenhagen beteiligten Pädagogen, Kinder und Eltern ist geprägt durch die Achtung vor dem Kind, der Achtung der Menschen untereinander, der Achtung vor der Schöpfung und von der Einsicht in die Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit aller Menschen, unabhängig von ihren individuellen Eigenschaften.
Die kindliche Entwicklung
Nach Montessori verfügen Kinder zum einen über erblich festgelegte Grundlagen für ihre Entwicklung. Dazu zählt der innere, natürliche Bauplan, der die Entwicklung eines jeden Menschen leitet. Zum anderen vollzieht sich Entwicklung nach den Vorstellungen der Pädagogin in spezifischen altersbezogenen Entwicklungsstufen, die ihrerseits wiederum durch besondere Sensibilitäten gekennzeichnet sind. Diesen auch als „sensible Phasen“ bezeichneten Zeitspannen kommt im Rahmen der pädagogischen Konzeption Montessoris eine große Bedeutung zu. „Sensible Phasen“ sind für Montessori vorübergehend bestehende Zeitspannen, in denen der junge Mensch für bestimmte Reize aus der Umwelt besonders empfänglich ist und sich folglich die damit verbundenen Fähigkeiten oder Fertigkeiten leicht aneignen kann. Montessori geht von einer grob altersspezifischen Ausprägung der „sensiblen Phasen“ aus, betont jedoch, dass sie sich in Zeitpunkt und Dauer von Kind zu Kind unterscheiden. Für Montessori beansprucht das Lernen einer Fähigkeit nach Abklingen einer „sensiblen Phase“ mehr Zeit, ist mit erhöhter Anstrengung verbunden und weniger effektiv. Demzufolge sollen Kinder in der Schule die Möglichkeit erhalten, ihren momentanen Sensibilitäten entsprechend lernen zu können. Das kann durch das Schaffen einer entsprechend „vorbereiteten Umgebung“, aus der die Kinder ihre Tätigkeit frei wählen können, erreicht werden. Darüber hinaus haben für Montessori die Selbstbildungskräfte des Kindes eine entscheidende Bedeutung für seine Entwicklung. Jeder Mensch besitzt von Geburt an die Fähigkeit, sich selbst zu bilden. Letztlich kann der Aufbau der Persönlichkeit nur durch die aktiv – schöpferische Tätigkeit des Kindes erfolgen.
Allgemeine Erziehungsvorstellungen Montessoris
Montessori kritisierte einen Erziehungsprozess, indem der Erwachsene das Kind als Objekt betrachtet und es ausschließlich nach seinen eigenen Maßstäben formen will. Ihre Maxime bestand darin, das Kind Subjekt des Erziehungsprozesses sein zu lassen. Sie verdeutlichte dies mit der Metapher des Wachses: „Es ist wahr, dass das Kind in seiner frühen Lebensepoche gleich weichem Wachs ist, aber dieses Wachs kann nur von der sich entfaltenden Persönlichkeit selber geformt werden. Die einzige Pflicht des Erwachsenen ist es, diese Formung des Wachses vor Störung zu bewahren, damit die feinen Zeichnungen, die das erwachende psychische Leben des Kindes dem Wachs einritzt, nicht ausgelöscht werden“ (Montessori 1985,8) Erziehung im Sinne Montessoris bedeutet also kein Formen des Kindes nach den Vorstellungen der Erwachsenen, sondern „dem Individuum von der Geburt an zu helfen und seine Entwicklung zu beschützen“ (Montessori 1996b,8). Da das Kind die Aufbauarbeit seiner Persönlichkeit primär selbst leisten muss, erfolgt Erziehung im Sinne Montessoris vorwiegend auf indirektem Weg. Dabei kommt dem Lehrenden die Aufgabe zu, die für die aktive Aufbauarbeit des Kindes notwendigen Umwelterfahrungen zu ermöglichen. Nach Montessori benötigt das Kind „den Schutz einer lebendigen, von Liebe durchwärmten, an Nahrung reichen Umwelt, in der alles darauf eingerichtet ist, sein Wachstum zu fördern, und nichts hindernd im Wege steht“ (Montessori 1996a, 44).
Polarisation der Aufmerksamkeit
Das Phänomen der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ bildet den Kern der pädagogischen Bemühungen Montessoris. Dieses „Schlüsselphänomen“ der Montessori-Pädagogik kann verstanden werden als Fähigkeit des Kindes zur tiefen Konzentration. Die Bedeutsamkeit der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ liegt für Montessori in der umfassenden Auswirkung auf die Persönlichkeits- und Bildungsentwicklung des Kindes. Sie konstatiert positive Effekte im Bereich der Emotionalität, Sozialität und Moralität. Nach einer intensiven Arbeitsphase zeigen die Kinder Freude, Ausgeglichenheit und ein gestärktes Selbstwertgefühl, sie „erweisen sich gegen jedermann freundlich, sie verschwenden sich, anderen zu helfen, sie sind voller Verlangen, gut zu sein“ (Montessori 1992a, 44). Montessori ist überzeugt davon, dass sich tiefe Konzentrationsphasen auch positiv auf die fachliche Bildung der Schüler auswirken: „Hier liegt offenbar der Schlüssel der Pädagogik, diese kostbaren Zustände der Konzentration mit ihrer Wiederholung der Übung zu erkennen und sie zum Lernen all dessen zu nutzen, was die Bildung betrifft: Schreiben, Lesen, Zeichnen, dann Grammatik, Arithmetik, Geometrie, Fremdsprachen. Alle Psychologen sind sich darin einig, dass es nur eine ideale Form des Lernens gibt: tiefstes Interesse und lebhafte und andauernde Aufmerksamkeit“ (Montessori 1992a, 45). So besteht eines der zentralen Ziele Montessoris darin, pädagogischdidaktische Strukturen zu entwickeln, die das Entstehen der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ fördern. Als wesentliche Bedingung hierfür sieht sie die Möglichkeit des Schülers, aus einer strukturierten Umgebung frei einen Arbeitsinhalt wählen zu können, so dass eine optimale Passung zwischen Lerninhalt und Entwicklungsstand erreicht werden kann.